Free Fire (2016)

Man stelle sich folgende Ausgangssituation für einen Film vor: 10 Kriminelle treffen sich in einer abgewrackten Fabrikhalle, um einen Waffendeal über die Bühne zu bringen. Nur kurze Zeit später gibt es einen kleinen Konflikt, der schließlich eskaliert und bald darauf entwickelt sich ein Feuergefecht, in dem jeder auf jeden schießt. Was wie ein simpel gestrickter Drehbuch-Einfall eines B-Movie-Enthusiasten klingt, beschreibt tatsächlich ziemlich genau den Kern von Ben Wheatleys neuem Film Free Fire. Leider konnte er dieser reduzierten wie gewagten Grundidee keine fesselnde Inszenierung entgegensetzen, weshalb das Endergebnis – sinnbildlich gesprochen – erstaunlich blutleer ausfiel.

Wheatley gab im Vorfeld an, dass er einen Film machen wolle, der den Zuschauer direkt ins actionreiche Geschehen katapultieren würde. Und es dauert in der Tat nur 15 Minuten bis die ersten krachenden Schüsse fallen. Was danach folgt, macht dem Titel des Werks alle Ehre, denn bald wird aus jedem Winkel geschossen und jeder Beteiligte dadurch zur potenziellen Zielscheibe. Während dieser bleihaltigen Auseinandersetzung macht sich beim Zuschauen allerdings ein merkwürdig ambivalentes Gefühl breit. Denn zum einen überrascht die Schießerei durch ihr mehr realistisches als überzeichnetes Gewand, andererseits wirkt das Geschehen dadurch unerwartet zäh und langatmig, was bei einer Laufzeit von 90 Minuten kein wirklich gutes Zeichen ist. Zudem scheint Wheatley nicht so recht zu wissen, wo genau er seinen Film positionieren will. Es fallen hin und wieder sarkastische Sprüche, die aber nie witzig genug sind, um einer Komödie gerecht zu werden. Für einen Actionfilm wiederum sind die entsprechenden Sequenzen nicht spektakulär genug, was zwar so beabsichtigt ist, allerdings zu Lasten der Erinnerungswürdigkeit des Werks geht.

Es sind eher die so menschlich wie skurril anmutenden Situationen, die im Gedächtnis bleiben. Etwa, wenn einer der Charaktere vor lauter Anspannung vergisst, auf welcher Seite er eigentlich steht. Oder wenn sich ein anderer Beteiligter Armschützer aus Pappe bastelt, um sich vor Infektionen zu schützen. Die sympathisch-unsympathischen (Schieß)figuren und deren Darsteller sind es auch, die Free Fire vor der Bedeutungslosigkeit retten. In der Tat hat Wheatley eine exquisite Besetzung zusammengetrommelt, die das Beste aus dem ideenarmen Drehbuch herausholt und so der flachen Handlung Leben einhaucht. Besonderes Lob verdient sich hier Sam Riley, der sichtlich Spaß an seiner Rolle des abgewrackten Handlangers Stevo hat. Aber auch die Darbietungen von Armie Hammer, Sharlto Copley und Jack Reynor bereiten ein immens großes Vergnügen. Lediglich Oscarpreisträgerin Brie Larson als einzige Frau im Film wirkt bedauerlicherweise unterbeschäftigt, was vor allem an der trivialen Figur der Vermittlerin Justine liegen dürfte.

Man glaubt irgendwie zu ahnen, welche Art Film Ben Wheatley mit Free Fire im Sinn hatte. Inmitten der Schüsse, der 70er-Jahre-Coolness und den häufig erklingenden John Denver-Songs steckt auch tatsächlich irgendwo ein außergewöhnlicher Genrebeitrag, der jedoch nie so ganz zum Vorschein kommen will. Es fehlt dem Action-Streifen schlicht und einfach das gewisse Etwas, woran auch der sich mit zunehmender Laufzeit steigernde Brutalitätsgrad nichts ändern kann. Wo der ähnlich aufgebaute Reservoir Dogs von Quentin Tarantino Spannung und schwarzen Humor raffiniert vereinen konnte, bleibt Free Fire im besten Fall ein interessanter, aber wirkungsloser Aufguss. Genau wie der Klassiker von 1992 wäre der Film gerne Kult, wird in Wahrheit aber sicherlich schnell wieder vergessen.

© Splendid Film

Lion (2016)

Die schönsten Geschichten schreibt immer noch das Leben. Eine Devise, die nicht erst kürzlich als Grundlage zahlreicher Hollywood-Produktionen dient und deshalb schon fast als hohle Phrase zu begreifen ist. Dass es im realen Leben aber tatsächlich solch schöne Geschichten gibt und diese auch noch auf angemessene Art und Weise im Kino erzählt werden können, zeigt das Drama Lion von Regisseur Garth Davis. Der Film basiert auf dem autobiographischen Buch A Long Way Home von Saroo Brierley, der 1986 als fünfjähriger Junge durch unglückliche Umstände in seiner Heimat Indien verlorenging und in einem Waisenhaus landete. Von dort adoptierte ihn ein liebevolles, australisches Ehepaar, das ihn mit auf den fünften Kontinent nahm und großzog. Erst 25 Jahre später spürte er mit Hilfe von Google Earth seinen Geburtsort auf, wo er schließlich seine eigentliche Familie tatsächlich wieder in die Arme schließen konnte.

Garth Davis beweist in seinem Spielfilm-Regiedebüt genau das richtige Gespür für die Tonart seines Werks. Wie leicht hätte die derart berührende und fast unglaubliche Lebensgeschichte Saroos in rührseligem Kitsch enden können. Der australische Regisseur geht jedoch mit überraschender Zurückhaltung und erfrischender Ruhe an die Buchverfilmung heran, die gerade deshalb sehr zu Herzen geht. Lion nimmt sich viel Zeit für die Charaktere und ihre Beziehungen untereinander. Besonders Saroos innige Verbindung zu seinem älteren Bruder Guddu ist das emotionale Fundament des Films, dem auch mit wenigen Worten viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ihre Beziehung wird vor allem im ersten Drittel von Lion beleuchtet, das ausschließlich in Indien spielt, was dem Zuschauer gleichzeitig erlaubt, tief genug in die Welt Saroos einzutauchen. Dessen Darsteller Sunny Pawar trägt in seinem Schauspieldebüt dieses erste Drittel dabei fast von alleine und stellt eine ähnliche, fantastische Neuentdeckung wie letztes Jahr Neel Sethi in The Jungle Book dar. Pawar reicht oft ein Blick oder ein zaghaftes Lächeln, um den Seelenzustand seines Charakters nach außen zu kehren, der von Unsicherheit und Furcht, aber auch von naiver Neugier geprägt ist. Zudem verleiht er dem Film eine große Portion Authentizität, die durch die tollen Aufnahmen der Originalschauplätze natürlich noch verstärkt wird.

Nachdem Garth Davis sich intensiv mit der Vorgeschichte Saroos beschäftigt, wagt er schließlich einen großen Sprung, der den Protagonisten nun als jungen Mann vorstellt. Hier darf sich fortan Dev Patel in der zweifellos besten Rolle seiner Karriere beweisen, die ihm nicht von ungefähr eine Oscarnominierung als Bester Nebendarsteller einbrachte. Sein Spiel passt sich dabei perfekt an die unaufgeregte Inszenierung des Regisseurs an.
Mit eindrucksvoller Souveränität meistert Patel die innerliche Zerrissenheit Saroos, dessen neues Leben sich für ihn wie Verrat an seiner Herkunft anfühlt. Die Erinnerungen an seine Heimat lösen in ihm belastende Schuldgefühle aus, die ihn an seiner wahren Identität zweifeln lassen, was ihn zu einer der interessantesten Figuren der jüngeren Filmgeschichte macht. Für die Menschen an dessen Seite fand Davis allerdings nicht durchweg eine glaubhafte Besetzung. Während die ebenfalls oscarnominierte Nicole Kidman als Adoptivmutter und Rooney Mara als Saroos Freundin Lucy routiniert wie eh und je agieren, wirkt hingegen David Wenham als Adoptivvater John leider fehl am Platz.

Dies reduziert jedoch nicht die emotionale Schlagkraft der Familienszenen, seien sie fröhlicher oder ernster Natur, die das Drama so außergewöhnlich machen. Überhaupt steckt in der Interaktion zwischen den Figuren die größte Stärke von Lion. Clever gliedert Garth Davis diese Sequenzen in die recht simple Struktur seines Films, ohne dabei den dramatischen Effekt erzwingen zu wollen. Den Höhepunkt stellt dann das Wiedersehen zwischen Saroo und seiner leiblichen Mutter dar, das kaum ergreifender hätte inszeniert werden können. Beinahe schon dokumentarisch kommt besagte Szene daher, in der Davis fast ausschließlich die Bilder sprechen lässt und sich dabei auf seine tollen Darsteller verlassen kann. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser Leinwandmoment beim Großteil der Zuschauer keinen bleibenden Eindruck (und tränenreiche Gesichter) hinterlassen wird.

Der gemächlichen Inszenierung ist es allerdings auch geschuldet, dass Lion im Mittelteil etwas zäh wirkt und dadurch ein wenig an Dynamik verliert. So hätte der Film gerne zehn Minuten kürzer ausfallen dürfen. Alles in allem sollte Garth Davis aber höchster Respekt für die besonnene Herangehensweise an die Buchverfilmung gezollt werden. So verlieren die schönen Geschichten des Lebens auch auf der Leinwand nicht an Bedeutsamkeit.

© Universum Film

La La Land (2016)

Filme, die die Liebe zur Musik und zum Kino in gleichem Maße vermitteln, sind äußerst selten. Umso kraftvoller ist dann die Wirkung, wenn man als Zuschauer solch ein Werk auf der Leinwand betrachten darf. Damien Chazelle hat mit seinem gerade einmal dritten Spielfilm La La Land einen solchen Film geschaffen und damit wohl schon jetzt ein Stück Kinogeschichte geschrieben.

La La Land erzählt die Geschichte der aufstrebenden Schauspielerin Mia und des erfolglosen Jazz-Pianisten Sebastian im Los Angeles der Gegenwart. Beide träumen von Größerem, müssen aber immer wieder berufliche Enttäuschungen hinnehmen. Das scheint jedoch vorübergehend in den Hintergrund zu rücken, als sich die beiden durch Zufall begegnen und ineinander verlieben. Diese erste Hälfte des Films fangen Chazelle und sein Kameramann Linus Sandgren in märchenhaften Bildern ein, die die vom Showbusiness geprägte kalifornische Großstadt als schillernden und beflügelnden Ort voller Träume und Möglichkeiten präsentieren. Das Musical schwelgt geradezu in dieser einnehmenden Atmosphäre und vermittelt dabei das simultane Gefühl von Nostalgie und Aktualität, von Traurigkeit und Frohsinn. Da ist es eigentlich nur logisch, dass hier die Musical-Nummern mehr dominieren, als es in der zweiten, ernsteren Filmhälfte der Fall ist.

Und was Komponist Justin Hurwitz im musikalischen Bereich abgeliefert hat, verdient jeden Applaus der Welt. Hinreißende, eingängige Melodien, die sich perfekt in das charmante Gesamtkonzept von La La Land schmiegen. Texte, die mitten ins Herz zielen und da wohl für ewig verweilen. Besonders hervorzuheben sind dabei die bereits in den Trailern zum Film veröffentlichten Songs „City of Stars“ und „Audition (The Fools Who Dream)“, die von solch bittersüßer Intensität sind, dass sich die dadurch entstehende Gänsehaut und sicher auch die ein oder andere Träne – sei sie vor Glück oder Melancholie – kaum vermeiden lässt. Dass die Lieder im Film dabei exzellent von den Darstellern vorgetragen werden, soll natürlich nicht unerwähnt bleiben. Damien Chazelle hätte kein passenderes Hauptdarsteller-Duo als Emma Stone und Ryan Gosling finden können. Die Beiden harmonieren perfekt miteinander (wie sie auch schon zuvor in den Filmen Crazy, Stupid, Love. und Gangster Squad bewiesen) und Chazelle traf die richtige Entscheidung, sein Werk vollkommen auf das Leinwandpaar zuzuschneiden. Indem er praktisch keine Nebenfigur besonders heraushebt, bietet er Stone und Gosling die Möglichkeit zur kompletten Entfaltung, was während des Films jedoch zu keiner Zeit anstrengend oder eintönig wirkt.

Ryan Gosling zeigt in seiner Rolle des Sebastian einmal mehr, dass er jede Menge Charisma besitzt. Am beeindruckendsten sind jedoch seine Szenen am Piano, das er nach intensiver Vorbereitung selbst spielen konnte, womit er an Miles Tellers Schlagzeugfähigkeiten in Chazelles Vorgängerfilm Whiplash erinnert. Auch Goslings Gesang ist eine Beachtung wert, gerade weil er nicht makellos ist. Dennoch steht seine Darstellung in La La Land unweigerlich im Schatten von Emma Stones Auftritt. Die 28-jährige ist einfach überragend als Mia und strahlt genau die glamourös-anmutige Anziehungskraft aus, wie sie sonst nur den Musical-Stars der goldenen Ära Hollywoods zu eigen war. Das live von ihr eingesungene Stück Audition ist dabei nur ein Bestandteil der besten Leistung ihrer Karriere, die die Mimin zweifellos in den Schauspiel-Olymp katapultieren wird.

Es darf jedoch nicht über La La Land gesprochen werden, ohne die atemberaubende Regie von Damien Chazelle zu erwähnen. Sein Werk ist eine auf Leinwand gebannte Liebeserklärung an das Musical-Kino der 1950er-Jahre, die auch ohne Frage als solche verstanden werden will. Besonders deutlich wird dies in der Szene, in der Stone und Gosling den beschwingt-romantischen Song „A Lovely Night“ vor der nächtlichen Skyline von Los Angeles performen. Diese Sequenz lebt und atmet förmlich den Geist von Gene Kelly-Klassikern, behält aber ihre eigene Note. Überhaupt versteht es Chazelle, La La Land nicht bloß zu einer zweistündigen Hommage verkommen zu lassen, sondern dem Musikfilm eine eigene Identität zu verleihen, die nicht nur bei Cineasten auf offene Ohren, Augen und Herzen stoßen wird.

Neben dem bewusst, aber rar platziertem Kitsch stehen nämlich vor allem zwei natürliche Charaktere im Fokus, die sich nach Liebe und beruflichem Erfolg sehnen, aber allmählich mit der Gewissheit leben müssen, dass sie nicht beides davon haben können. Trotz dieser Parallele zum echten Leben, treibt Chazelle aber keineswegs der Realismusanspruch voran, sondern die Wiederbelebung eines angestaubten Genres und (fast) vergessenen Gefühls von unbeschwerter Glückseligkeit. Dass er bei diesen Ambitionen trotzdem noch genügend Raum für kreative Regie-Einfälle, Witz und Emotionalität findet, zeigt nur, welch begnadeter Regisseur Chazelle ist. La La Land wurde nicht umsonst mit 7 Golden Globe Awards ausgezeichnet, denn die Musical-Romanze zeigt auf wundervolle Weise, dass Kino noch magisch sein kann.

© StudioCanal

Die glorreichen Sieben (2016)

Wenn ein Regisseur das Remake eines großen Klassikers vorlegt, muss er sich zwangsläufig dem Vergleich mit dem Original stellen. Dies war auch schon im Jahr 1960 bei John Sturges und Die glorreichen Sieben, seiner amerikanisierten Westernversion von Akira Kurosawas Die sieben Samurai, der Fall. Antoine Fuqua setzte sich nun gewissermaßen dem Vergleich mit beiden Vorläufern aus. Dabei weist sein Film Die glorreichen Sieben, von der Ausgangssituation einmal abgesehen, kaum noch Ähnlichkeiten zum japanischen Original des Jahres 1954 auf. Auch wenn Fuqua in Interviews auf die Eigenständigkeit seines Films pochte, ist sein Western vielmehr – neben der offensichtlichen Genre-Zugehörigkeit – eine Hommage an John Sturges‘ Werk.

Besonders bemerkbar macht sich dies durch einzelne Dialoge (z.B. der Stockwerk-Witz), gewisse Handlungsabläufe und der Verwendung der berühmten Titelmelodie von Elmer Bernstein im Abspann. Aber auch sonst vermittelt Fuquas Neuverfilmung einen angenehm altmodischen Eindruck und versprüht durchaus einen ähnlichen Charme wie der Original-Western. Dies ist vor allem dem tollen Ensemble geschuldet, das den sieben Helden Leben einhaucht. Angeführt vom stets verlässlichen Denzel Washington, der trotz seinen mittlerweile 61 Jahren immer noch genügend dynamische Präsenz für zwei Filme ausstrahlt, überzeugen auch Chris Pratt, Ethan Hawke und Byung-hun Lee, die sich wunderbar homogen in das Western-Setting einfügen. Das Highlight des Septetts ist jedoch der bullige Vincent D’Onofrio als Fährtenleser Jack Horn, der hinter der rauen Fassade seiner Figur einen Menschen mit Herz und Humor erkennen lässt und dem man ein eigenes Spin-off wünschen würde. Aber auch Peter Sarsgaard gibt einen diabolisch guten Schurken ab, verliert leider jedoch das Duell gegen die zu eindimensionale Konzipierung seines Charakters Bartholomew Bogue. Gegen Ende hinterlässt die Figur sogar nichts als reine Enttäuschung beim Zuschauer.

Dies ist wohl auch der größte Schwachpunkt, den Die glorreichen Sieben mit seinen beiden Vorgängern teilt: Die Handlung wirkt zu rund und simpel gestrickt und versucht gar nicht erst, irgendwelche Ecken und Kanten zu liefern. Überraschungsmomente sucht man als Zuschauer deshalb vergeblich, vom Drehbuch des True Detective-Schöpfers Nic Pizzolatto wäre da durchaus mehr zu erwarten gewesen. Dass der Story in Fuquas Remake ein Rachemotiv und andere neue Einfälle (z.B. Gatling Gun) zugefügt werden, kann am Ende allerdings keinen bleibenden Eindruck hinterlassen, um sie aus dem Mittelmaß herauszuheben.

Diese Erkenntnis hilft natürlich denen, die dem Remake-Wahn Hollywoods eher kritisch gegenüberstehen und Argumentationshilfen gegen die Rechtfertigung von Klassiker-Neuverfilmungen suchen. Tatsächlich bleibt Fuqua nämlich den Beweis schuldig, dass derartige Filme wirklich vonnöten sind. Losgelöst von den Vorgängern, ist Die glorreichen Sieben jedoch ein unterhaltsames Western-Abenteuer mit sympathischen Charakteren und erstaunlich unblutiger Baller-Action. Letztere erreicht am Ende ihren Höhepunkt, bei der es als Zuschauer zuweilen jedoch schwerfällt, die Übersicht zu behalten. Davon abgesehen, beherrschen Fuqua und seine Crew das Standard-Prozedere eines Westerns, mitsamt den tollen Panorama-Einstellungen und Close-ups sowie der genretypischen Tongestaltung. In Anbetracht der heutigen Zeit hätte der Film gerne „dreckiger“ ausfallen und mehr Mut zur Unkonventionalität beweisen dürfen. Den Spaß im Kino mindert das letztendlich allerdings nicht.

© Sony Pictures Releasing

The Nice Guys (2016)

Wenn man wie Shane Black für die Drehbücher zu Filmen wie Last Boy Scout und der Lethal Weapon-Reihe verantwortlich war, die immerhin das Genre der Buddy-Actionkomödie entscheidend mitprägten, dann baut man fast automatisch eine gewisse Erwartungshaltung auf. Dieser ist es wohl auch geschuldet, dass seine dritte Regiearbeit The Nice Guys nicht so recht zünden mag, wie es sich Black selbst und seine Fans wohl gewünscht hätten. Dabei scheinen die Zutaten seines Films geradezu perfekt für eine spaßige Action-Revue zu sein: Zwei ungleiche Typen, die sich widerwillig zusammenraufen, die späten 70er Jahre als zeitlicher Schauplatz und eine schmutzige Detektivgeschichte, in der Pornostars, Auftragskiller und Leichen eine übergeordnete Rolle spielen.

Trotz dieser Komponenten erreicht The Nice Guys fast nie die Klasse von Shane Blacks Regiedebüt Kiss Kiss, Bang Bang aus dem Jahr 2005. Vor allem in puncto Dialogwitz fehlt es seinem aktuellen Film an Schärfe und ironischen Pointen (von denen die besten bereits im Trailer gezeigt wurden). Auch die Story ist weit weniger ausgebufft und raffiniert, wie im ersten Film des 54-jährigen. Es wäre jedoch mehr als unangebracht, The Nice Guys als missraten zu bezeichnen. Dafür beherrscht Black sein Handwerk dann doch zu gut, um die Noir-Komödie nicht in die Belanglosigkeit abdriften zu lassen. Einen großen Anteil daran haben die tollen Charaktere bzw. deren Darsteller. Allen voran Ryan Gosling, der als trotteliger Privatdetektiv Holland March eine brüllend komische Vorstellung abliefert und dabei für die meisten Gags des Films sorgt. In einer für ihn ungewohnten Rolle beweist er ein hervorragendes Gespür für das richtige Timing und sein Talent für Situationskomik. An seiner Seite bietet Russell Crowe als raubeiniger Berufsschläger Jackson Healy hingegen ein vertrautes Bild. Die Chemie zwischen beiden stimmt jedoch, weshalb es auch große Freude macht, dem Duo bei der Interaktion zuzusehen. Die große Entdeckung des Films ist allerdings die 15-jährige Australierin Angourie Rice, die als frühreife Filmtochter von Ryan Gosling zu bewundern ist. Wie sie als clevere und neugierige Holly ihrem überforderten Vater Kontra gibt, gehört zu den besten Szenen des Films und es wäre verwunderlich, wenn sie in Zukunft nicht häufiger auf der Leinwand auftauchen würde.

Die weiteren Nebenrollen sind u.a. mit Kim Basinger als Justizministerin oder Keith David und Beau Knapp als Killer-Duo zwar ebenso erfreulich besetzt, jedoch wird hier das Potenzial ihrer Charaktere leider verschenkt. Ein Resümee, das gewissermaßen auch auf den gesamten Film angewendet werden kann. So wird beispielsweise das Retro-Feeling vom Los Angeles der 1970er-Jahre (für das zum großen Teil Georgia als Drehort diente), trotz angepasster Kostüme und detailreichem Setting, nicht vollends übermittelt. Gerade beim Soundtrack wäre hier deutlich Luft nach oben gewesen. Da reicht es am Ende auch nicht, langhaarige Jugendliche beim Demonstrieren zu zeigen, um Nostalgie aufkommen zu lassen.

Shane Black wollte mit The Nice Guys allerdings auch kein Sittenbild dieser Epoche inszenieren, sondern eine Action-Komödie, die lediglich zu dieser Zeit spielt. Infolgedessen dienen die politischen Themen im Film auch keiner ernst gemeinten Kritik, sondern einzig und allein dem Unterhaltungswert der Geschichte. Genau wie seine Protagonisten hat The Nice Guys das Herz am rechten Fleck und ist in seinen besten Momenten ein gelungenes Potpourri aus Gags und Gewalt. Die Nachhaltigkeit von Blacks früheren Werken wird er dennoch nicht wiederholen können. Da das Publikum sich mit hoher Wahrscheinlichkeit amüsieren wird, kann der Regisseur dies jedoch sicher verschmerzen.

© Concorde Filmverleih

Triple 9 (2016)

Vier Jahre sind vergangen, seit der gefeierte Australier John Hillcoat auf dem Regiestuhl Platz nahm. Nachdem er sich u.a. bereits dem Western (The Proposition), der Endzeit-Elegie (The Road) und dem Prohibitionsdrama (Lawless) gewidmet hatte, legt er nun mit Triple 9 einen geradlinigen Cop-Thriller vor und weiß auch in diesem Genre zu überzeugen. Dass er dabei seinen wohl massentauglichsten Film abgeliefert hat, werden einige Kritiker als schlichten Opportunismus abtun. Als Wunsch nach einem richtigen Kassenschlager. Damit würde man ihm jedoch unrecht tun, denn Triple 9 ist mehr als ein gewöhnlicher Action-Streifen geworden.

Wie gewohnt, gelingt Hillcoat im Film der Aufbau einer eigenen Welt, in die man sich als Zuschauer nur zu gerne begibt, um sich von der atmosphärischen Dichte einnehmen zu lassen. Dafür bedient er sich jedoch nicht an außergewöhnlichen Kameraeinstellungen oder überoriginellen Regie-Einfällen. Es ist eher die bewusste Auseinandersetzung mit genretypischen Versatzstücken (Bankraub, Korrupte Polizisten, Mafia etc.), die für positive Verwunderung sorgt. Verwunderung darüber, dass das Gesehene jedem bekannt vorkommen dürfte und trotzdem durchweg für Spannung sorgt. Da stören auch tatsächlich die fehlende Raffinesse des Drehbuchs und das ein oder andere Logikloch nur noch bedingt.

Ebenso erweist John Hillcoat abermals ein erstaunliches Gespür für die richtige Besetzung, die wie ein Best-of von Alt-und Jungstars daherkommt und dadurch eine geradezu erfrischende Wirkung erzielt. Ob es nun die erwartungsgemäß erstklassig agierenden Anthony Mackie, Chiwetel Ejiofor, Clifton Collins Jr. und Woody Harrelson sind oder die herrlich gegen ihr Image besetzte Oscarpreisträgerin Kate Winslet als eiskalte Russenmafia-Chefin. Hier beweist jeder Spielfreude und füllt seine Rolle mit Energie und Überzeugungskraft aus. Einzig den Serienstars Aaron Paul (Breaking Bad), Norman Reedus (The Walking Dead) und Michael K. Williams (The Wire) wäre mehr Leinwandzeit zu gönnen gewesen. Die weiblichen Nebendarstellerinnen Teresa Palmer und Gal Gadot sind hingegen mehr hübsches Beiwerk und Stichwortgeber, was ihre Charaktere zu belanglosen Randfiguren verkommen lässt.

Umso erfreulicher ist jede einzelne Minute, die der bravouröse Casey Affleck im Film zu sehen ist. Der 40-jährige spielt den (dauerhaft kaugummikauenden) Polizisten Chris Allen, der von einer kriminellen Bande von korrupten Cops und Ex-Soldaten im Einsatz getötet werden soll, um den titelgebenden Polizeicode 999 auszulösen. Dieser würde nämlich den Großteil der polizeilichen Einsatzkräfte zu dem Vorfall locken und den geplanten Raub der Gruppe somit erleichtern. Gemäß den Gesetzen des Genres läuft der Coup natürlich nicht wie geplant ab, was vor allem an den unterschiedlichen Temperamenten der Charaktere liegt. Die daraus resultierenden Konflikte lässt Hillcoat in durchaus brutale Situationen gipfeln und verliert dabei dennoch nicht das Interesse an seinen Protagonisten.

Triple 9 lässt sicherlich die ganz großen Überraschungsmomente vermissen und kann in erzählerischer Sicht nicht mit Klassikern wie Heat oder Cop Land mithalten. Technisch und schauspielerisch ist der Thriller jedoch auf ganz hohem Niveau und weiß dabei von Anfang bis Ende zu unterhalten. Einen Kassenschlager wird Hillcoat damit jedoch erneut nicht verbuchen können. Behalten seine Filme dadurch diese Qualität, werden das seine Fans allerdings gerne in Kauf nehmen.

© Wild Bunch

The Jungle Book (2016)

Es ist nun fast 50 Jahre her, dass Walt Disneys Das Dschungelbuch in den Kinos startete. Bis heute ist der Zeichentrickklassiker in Deutschland mit über 27 Millionen Zuschauern der am häufigsten besuchte Kinofilm aller Zeiten – und wird dies wahrscheinlich auch immer bleiben. Regisseur Jon Favreau legte sich die schwere Bürde auf, dem beliebten Werk mit The Jungle Book eine Real-Neuverfilmung zu verpassen, welche sich jedoch als würdige Adaption erweist.

Favreau hält sich in seiner Version – abgesehen von ein paar Abweichungen – weitestgehend an die Handlung des Zeichentricks von 1967. Das Entscheidende ist jedoch die unterschiedliche Tonalität beider Filme. Die Neuauflage nimmt größtenteils Abstand vom naiven Charme des Originals und bereitet die Geschichte für ein erwachseneres Publikum auf. So avanciert The Jungle Book zu einem mitreißenden Abenteuerfilm, der das Zusammenspiel von dramatischen und humorvollen Momenten geschickt zu involvieren weiß. Als Zuschauer taucht man, auch dank der 3D-Bilder, direkt in die faszinierenden Tiefen des Dschungels ein, in der die agierenden und sprechenden Tiere zu keiner Zeit an Glaubwürdigkeit verlieren. Dies ist vor allem der überragenden Tricktechnik zu verdanken, die den Film zu einem visuellen Ereignis werden lässt. Jede kleinste Bewegung und jedes durch den Regen glänzende Härchen im Fell wurde perfekt animiert und dürfte für staunende Augen beim Publikum sorgen. Vor allem beim Tiger Shir Khan haben die Macher meisterhafte Arbeit geleistet und lassen Erinnerungen an dessen Artgenossen aus Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger wach werden.

Shir Khan ist auch die Figur, an der sich am besten die Reformierung der Charakterzeichnungen erkennen lässt. Dieser Tiger hat nur noch wenig mit der gezeichneten Raubkatze aus dem Disney-Hit gemeinsam, sondern vereint wesentlich mehr markante Eigenschaften. Sein manipulatives und intelligentes Wesen, gepaart mit einer einschüchternden Gestalt, verleiht ihm eine durchgehend bedrohliche Aura, die ihn zu einem überaus bemerkenswerten Filmschurken macht. Einen großen Anteil daran haben auch Idris Elba bzw. dessen deutsches Pendant Ben Becker, die dem Antagonisten ihre Stimmen leihen und dabei einen guten Job machen. Die gefahrvolle Stimmung, für die Shir Khan sorgt, soll vor allem durch den Bären Balu aufgelockert werden. Dieser wurde mit der Synchronisation durch Bill Murray bzw. Armin Rohde ebenso passend besetzt und ist für den Großteil der Lacher des Films verantwortlich. Im Gegensatz zum Original wirkt Balus Freundschaft zu Mogli, die eine große Bedeutung in der Geschichte hat, jedoch leicht an den Haaren herbeigezogen, wodurch der weitere Verlauf der Handlung etwas konstruiert anmutet.

Umso erfreulicher ist dafür die Besetzung von Mogli. Als einziger „echter“ Hauptdarsteller wurde der indisch-stämmige Amerikaner Neel Sethi mit einer großen Herausforderung konfrontiert, die er jedoch exzellent meistert. Optisch wie ein reales Abbild des Zeichentrick-Menschenkindes wirkend, füllt er die Rolle ebenso inhaltlich mit Tiefe, Charisma und Authentizität.
Die größten Abschweifungen bezüglich der Charaktere erlaubte sich Jon Favreau bei der Schlange Kaa, die in The Jungle Book weiblich statt männlich ist und bei King Louie, der nicht mehr der Primatengattung Orang-Utan angehört, sondern der des mittlerweile ausgestorbenen Gigantopithecus. Während erstere Figur nur einen – wenn auch prägnanten – Kurzauftritt absolviert, gehört die Sequenz mit dem Riesenaffen zu den wohl großartigsten des gesamten Films. Als überdimensionaler Anführer einer Affenherde ist King Louie – sinnbildlich und buchstäblich – eine Wucht. Hier ist jedoch die musikalische Einlage des bekannten Songs „I Wanna Be Like You“ absolut fehl am Platz und zerstört den beunruhigenden Effekt seiner Präsenz. Darüber kann auch die launige Interpretation des Stückes durch Christopher Walken in der US-Version nicht hinwegtrösten.

Eben erwähntes Lied und das unvermeidliche „The Bare Necessities / Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ sind schließlich auch die einzigen gesanglichen Beiträge im Film (vom Abspann abgesehen). Favreau hat hier bewusst die Songanzahl reduziert, um die Eigenständigkeit seines Werks zu betonen. In diesem Sinne wäre eine „liedfreie“ Version jedoch die bessere Entscheidung gewesen. Vorteilhaft wirkt hingegen die Idee, die musikalischen Motive der Original-Songs hin und wieder im Film durchklingen zu lassen.

The Jungle Book bewegt sich näher an der literarischen Vorlage Rudyard Kiplings als es Das Dschungelbuch 1967 tat, was angesichts der verschiedenen Genres auch nicht weiter verwundert. Der Tatsache, dass Favreaus Version ebenso eine Disney-Produktion ist und auch Kinder ins Kino locken soll, ist dann wohl auch geschuldet, dass eine gewisse Uneinigkeit zu spüren ist. Einerseits blitzt der Wunsch nach Nostalgie und dem Bewahren des Geistes des Zeichentrickfilms auf. Andererseits herrscht hauptsächlich der Mut zu einer neuen, reiferen Dschungelbuch-Geschichte, in der der Regisseur ein funktionierendes Ökosystem zeigt, das die natürlichen Gesetze vom Fressen und Gefressen werden miteinschließt.

Wer sich die Realverfilmung im Kino anschauen sollte, wird schließlich mit einem visuell beeindruckenden Film belohnt, der einige erinnerungswürdige Szenen bietet. Der liebevoll gestaltete Abspann hat dann auch noch Scarlett Johanssons Singstimme als kleinen Bonus parat, der selbst Disney-Puristen ein zufriedenes Lächeln aufs Gesicht zaubern dürfte.

© Walt Disney Studios Motion Pictures

The Hateful 8 (2015)

Drei Jahre sind seit Quentin Tarantinos letztem Film Django Unchained ins Land gegangen. Nun ist mit The Hateful 8 sein langersehntes, neues Werk im Kino zu bewundern, in dem er sich erneut dem Western-Genre widmet. Der in den Medien vielfach erwähnte Ärger um die vorzeitige Veröffentlichung des Drehbuchs und die vorübergehende Einstellung der Planungen am Film, scheint Tarantinos Regiefähigkeiten glücklicherweise nicht beeinträchtigt zu haben. Denn in The Hateful 8 beweist er erneut, mit welcher Detailversessenheit und Kreativität er seine Geschichten zum Leben erwecken kann. Diesmal hebt sich das Ergebnis von seinen bisherigen Arbeiten dennoch etwas ab.

Ein Grund dafür ist die ungewohnt düstere Tonart des, einige Jahre nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg spielenden, Films, die sich die komplette Laufzeit von fast drei Stunden hartnäckig hält und The Hateful 8 zum ernsthaftesten Beitrag seines Œuvres macht. Selbstverständlich verzichtet Tarantino auch hier nicht auf die schwarzhumorigen Einlagen. Diese sind jedoch weniger pointenreich und ironisch, als man es vom Regisseur gewohnt ist. Die ausschweifenden Dialoge drehen sich oft um Belanglosigkeiten, was bei einem Tarantino-Film natürlich kein Novum ist. Jedoch erreichen sie nicht ganz die Raffinesse der filmischen Vorgänger. Trotz dieses kleinen Mankos ist es umso faszinierender zu beobachten, wie es Tarantino schafft, die sich steigernde Anspannung zwischen den Charakteren von Minute zu Minute spürbarer zu machen.
Dass er sich hierfür gewissermaßen auf nur zwei Schauplätze beschränkt, ist ein besonders intelligenter Schachzug und unterstreicht die kammerspielartige Atmosphäre seines Films.

So lassen sich in einigen Bereichen Parallelen zu Tarantinos Debüt Reservoir Dogs ziehen. Statt Diamantenräuber in schwarzen Anzügen, treffen diesmal jedoch zwei Kopfgeldjäger, eine Mörderin, ein General und andere undurchsichtige Typen auf engstem Raum aufeinander. Und wie der Kultfilm von 1992 zieht auch The Hateful 8 seine Spannung aus dem Ungewissen, denn die titelgebenden acht Protagonisten (obwohl es eigentlich neun sind) haben sich nur scheinbar aufgrund eines wütenden Schneesturms in „Minnies Miederwarenladen“ zusammen eingefunden. Dass diese Zusammenkunft alles andere als rein zufällig ist und nicht jeder der ist, der er vorgibt zu sein, ahnen bald sowohl die Charaktere als sicher auch der Großteil der Zuschauer des Films. Das folgende Misstrauen zwischen den Figuren weiß Tarantino gekonnt in Szene zu setzen und lässt damit erneut Erinnerungen an Reservoir Dogs aufleben. Bis zur blutigen Eskalation der Situation lässt er sich diesmal jedoch etwas zu viel Zeit und bläst die, im Kern recht simpel gestrickte, Handlung zu einem Drei-Stunden-Epos auf. Erst nach guten 90 Minuten Laufzeit fällt der erste Schuss und leitet damit den Auftakt zur zweiten Hälfte des Films ein, der von eruptiver Gewalt bestimmt ist und die bis dahin stark vorherrschenden Dialoge ablöst.So gesehen gibt der Regisseur seinen Fans genau das, was diese von ihm gewohnt sind, verliert sich dabei allerdings in zu vielen Nichtigkeiten.

Der Vorteil seiner ausgelassenen Inszenierung besteht darin, dass nahezu alle seine Charaktere viel Raum zur Entfaltung bekommen. Um diese auf der Leinwand mit Leben zu füllen, versammelte Tarantino wieder einmal alte Bekannte vor der Kamera, u.a. Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Tim Roth und Michael Madsen. Das exzellente Schauspiel-Ensemble zieht dabei alle Register seines Könnens und beweist schier unermessliche Spielfreude. Besonders Kurt Russell und Jennifer Jason Leigh, die in ihren Rollen als Kopfgeldjäger John Ruth und dessen Gefangene Daisy Domergue aneinander gekettet sind, agieren wunderbar zusammen und lassen durch die herrschende Abscheu zwischen ihren Figuren auch ab und zu eine gewisse Herzlichkeit blitzen. Leighs Performance brachte ihr bereits eine Golden Globe- und Oscar-Nominierung ein, womit die Schauspielerin auf dem besten Wege ist, sich in die Liste der Kollegen einzureihen, denen Tarantino zu einem Comeback verholfen hat.

Obwohl auch in The Hateful 8 die typischen Stilelemente des Kult-Regisseurs zu finden sind, wie die Unterteilung der Geschichte in Kapitel oder der überzeichneten Gewaltdarstellung, bewies er auch Mut zu Neuerungen. Zum ersten Mal ließ er fast die gesamte Filmmusik komponieren und engagierte dafür niemand geringeren, als den von ihm sehr verehrten Ennio Morricone. Der Italiener liefert im Spätherbst seiner Karriere einen gleichzeitig zurückhaltend wie einprägsamen und derart passend düsteren Soundtrack ab, dass dieser zweifellos als eine seiner besten Arbeiten bezeichnet werden kann. Gänzlich verzichtet Tarantino aber auch diesmal nicht auf Rock- und Popsongs und unterstreicht bzw. konterkariert das filmische Geschehen u.a. mit Roy Orbison und The White Stripes.

Überhaupt kann der Kammerspiel-Western auf technischer Seite besonders punkten.
So sind schon alleine die herausragenden Kamerabilder der  verschneiten Landschaft des amerikanischen Westens den Gang ins Kino wert. Hierfür kramten der Digital-Verächter Tarantino und sein Kameramann Robert Richardson, bei ihrer mittlerweile fünften Zusammenarbeit, die seit den 60er Jahren nicht mehr verwendeten Cinemascope-Objektive aus dem Archiv. Diese sorgen für ein extrabreites Bildformat, wie es bei früheren Monumentalfilmen üblich war und damit für ein außergewöhnliches Seherlebnis, das auch im räumlich beschränkten Setting der Berghütte nichts an Wirkung verliert.

In seiner Dankesrede bei den Filmfestspielen von Cannes 1994 sagte Quentin Tarantino einmal, dass seine Filme die Menschen spalten würden, anstatt sie zusammenzubringen.
Auf The Hateful 8 könnte dies wohl kaum passender zutreffen. Einigen werden die typischen Merkmale seiner Inszenierungsweise sauer aufstoßen. Andere wiederum werden sich an der ungewohnt sperrigen Erzählweise stören. Doch Anhänger des Regisseurs werden dies auch nach Sichtung des Films weiterhin bleiben. Denn auch, wenn The Hateful 8 sicher nicht das beste Werk Tarantinos ist, so ist es gewiss sein mutigstes.

© Universum Film (UFA)

The Revenant – Der Rückkehrer (2015)

Selten wurde in den letzten Jahren so über aufwendige und harte Dreharbeiten berichtet, wie zu The Revenant – Der Rückkehrer, dem neuesten Streich von Alejandro González Iñárritu. Ob diese körperlichen und seelischen Strapazen von Darstellern und Crew durchweg der Wahrheit entsprechen oder lediglich Teil cleverer PR sind, sei hier einmal dahingestellt. Fakt ist jedoch: Es hat sich wirklich gelohnt. Der, nur mit natürlichem Licht gedrehte, Mix aus Rache-Thriller und Survival-Drama, mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle, läutet das Kinojahr 2016 auf äußerst eindrucksvolle Art und Weise ein.

Erzählt wird die, auf wahren Begebenheiten basierende, Geschichte des Trappers Hugh Glass, der im Jahr 1823 auf einer Pelzjagd-Expedition in Nordamerika von einem Grizzlybären angegriffen und schwer verletzt wird. Da die restlichen Männer seiner Truppe, die bereits vorher durch eine blutige Auseinandersetzung mit Indianern stark dezimiert wurde, keine Möglichkeit sehen, ihn den gesamten Weg in ihr Lager zu tragen, sollen sein Sohn Hawk, der raubeinige Söldner John Fitzgerald und der junge Jim Bridger bei ihm bleiben, um auf seinen Tod zu warten und ihn anschließend ehrenhaft zu begraben. Dass es dazu jedoch nicht kommt und Glass sich selbst zurückgelassen in einem Erdloch im Wald und seinen Sohn tot vorfindet, ist der Auftakt zur Haupthandlung des Films. Der Schwerverwundete schleppt sich fortan, getrieben von Rachegelüsten, hunderte von Kilometern durch die eiskalte Wildnis Nordamerikas zurück in die Zivilisation.

Diesen mehr als mühsamen und gefahrvollen Weg fangen Iñárritu und sein Kameramann Emmanuel Lubezki in gleichzeitig traumhaften wie auch grausamen Bildern ein. Die atemberaubenden Landschaftsaufnahmen stehen dabei im Kontrast zu den schonungslosen Darstellungen von Glass‘ Tortur. Sei es der unverblümte Blick auf dessen klaffende Wunden oder das Aufschneiden eines Pferdekadavers inklusive Entfernung der Innereien. Doch gerade diese Gegensätzlichkeit ist es, die The Revenant einen Sog entwickeln lässt, dem man sich nur schwer entziehen kann. Bereits die perfekt choreografierte Anfangssequenz, in der die Expedition von einem Indianerstamm angegriffen wird, katapultiert den Zuschauer direkt in das Geschehen, was der dynamischen und intensiven Kameraführung Lubezkis zu verdanken ist, die wie aus einem Guss wirkt. Damit übertrifft der Mexikaner sogar seine oscarprämierte Arbeit in Birdman aus dem letzten Jahr, für den er ebenfalls mit seinem Landsmann Iñárritu zusammenarbeitete.

Neben der Inszenierung sind es aber auch die Darsteller, die den Film über den Status eines simplen Rache-Dramas hinausheben. Allen voran Leonardo DiCaprio, der einmal mehr vollen Körpereinsatz zeigt und sich voraussichtlich zu einer weiteren Oscar-Nominierung kämpft, kriecht und zittert. Ob es diesmal zu einer Auszeichnung reicht, hängt sicherlich auch von der Konkurrenz ab, da seine Darstellung zweifellos imposant, die Rolle des Hugh Glass hingegen nicht die vielschichtigste seiner Karriere ist. Überhaupt hätte etwas mehr Tiefgründigkeit in der Figurenzeichnung dem Werk gut getan, besonders da es zum großen Teil dialogfrei abläuft. So ist und bleibt die Hauptfigur lediglich der unbeugsame Einzelkämpfer, der nur noch sich und seine Rache hat. Ähnlich verhält es sich mit dem Antagonisten John Fitzgerald. Dieser wird zwar vom Briten Tom Hardy ebenfalls hervorragend verkörpert, scheint allerdings ausschließlich von schlechten Charaktereigenschaften durchzogen zu sein. Mit dieser Schwarz-Weiß-Malerei macht es sich Iñárritu etwas zu einfach, um seinen linear gestrickten Plot zu vermitteln, worüber auch die traumartigen Epiphanien von Glass nicht hinwegtäuschen können. Zudem läuft der Regisseur Gefahr, dass einige Zuschauer das Schicksal seines Protagonisten überraschend unberührt lassen könnte, da er während der sehr langen Spielzeit einen Leidensmoment der Figur an den nächsten reiht, dabei aber ihrem Innenleben nicht wirklich nahezukommen scheint.

Es wäre dennoch falsch zu behaupten, dass The Revenant nur durch Form statt Inhalt punkten kann. Zu mitreißend ist dann doch die Geschichte eines Mannes, der schier unglaublichen Überlebenswillen zeigt und dabei jeglichen Gefahren, ob Natur oder Mensch, trotzt. In Erinnerung werden nichtsdestotrotz eher die turbulenteren Szenen bleiben, wie der Bärenangriff oder der Kampf mit den Indianern zu Beginn des Films, die handwerklich meisterhaft inszeniert sind und einem schlichtweg den Atem rauben.
Für Werke wie The Revenant wurde das Kino erschaffen und Regisseur Alejandro G. Iñárritu ist im Begriff, sich bei den ganz Großen seiner Zunft einzureihen.

© 20th Century Fox

 

Everest (2015)

Mit Everest legt der isländische Regisseur Baltasar Kormákur seine dritte größere US-Produktion vor und widmet sich darin dem tragischen Vorfall am Mount Everest aus dem Jahr 1996, der acht Menschen das Leben kostete. Was leicht zu einem actionlastigen Katastrophenfilm hätte werden können, entpuppt sich jedoch als emotionales Bergsteigerdrama, das einen nicht unbeeindruckt im Kinosessel zurücklässt.

Wie auch schon in seinem Film The Deep, der sich ebenfalls um ein tatsächlich geschehenes Unglück dreht, legt Kormákur in Everest mehr Wert auf die Figuren und deren Emotionen, als auf Effektgewitter, was eine willkommene Abwechslung im heutigen Blockbuster-Kino darstellt. Im Gegensatz zu seinem kleinen isländischen Werk standen ihm diesmal jedoch ein deutlich höheres Budget sowie ein namhafter Cast zur Verfügung. Hier offenbart sich gleichzeitig jedoch die erste, kleine Schwäche des Films. Die große Anzahl an prominenten Darstellern, zu denen sich unter anderem Josh Brolin, Jake Gyllenhaal und Sam Worthington zählen dürfen, geht anhand der vielen Charaktere etwas unter und wirkt mitunter sogar etwas verschenkt. So sind beispielweise Keira Knightleys und Robin Wrights Auftritte zwar sehenswert, aufgrund der geringen Screentime allerdings kaum der Rede wert. Ihr Erscheinen dient lediglich dazu, das Schicksal der Angehörigen greifbar zu machen, die sich nicht am Mount Everest befinden, sondern nur durch Funkkontakt mit ihren Liebsten am Berg verbunden sind. Die Tatsache, dass ihre Ängste und Sorgen im Film nur gestreift werden, ist zwar bedauernswert, im Interesse des Vermeidens von Überlänge jedoch die logische Konsequenz.

Der Vorteil des großen Ensembles wiederum besteht darin, dass sich keiner der Darsteller wirklich hervorhebt und so der gigantischen Wirkung des Mount Everest genügend Raum gegeben wird. Diesen setzt Kormákur durch großartige Naturaufnahmen gekonnt in Szene. Dass die Passagen am Gipfel vor dem Greenscreen entstanden, tut der bedrohenden und einschüchternden Atmosphäre des Berges keinen Abbruch. Überhaupt gelingt es dem Regisseur, die Naturgewalten für den Zuschauer so spürbar wie möglich zu machen und überträgt die Kälte auf der Leinwand direkt in den Kinosaal. Auch wenn die Strapazen der Charaktere nur erahnt werden können, so leidet man durchaus mit ihnen. Da fällt es auch weniger ins Gewicht, dass oftmals starke Konzentration gefordert ist, um die zahlreichen Figuren in ihrer dicken Winterkleidung beim Hinauf- und Herabkraxeln im Schneegestöber unterscheiden zu können. Kommen diese in ihren Zelten, von Atemmaske und Kletteranstrengungen befreit, vorübergehend zur Ruhe, dürfen die Darsteller um Jason Clarke, John Hawkes & Co. schließlich beweisen, dass unter der Bergsteigermontur auch Schauspieler stecken. Allesamt erledigen hierbei einen grundsoliden Job und passen sich damit dem unaufgeregten Inszenierungsstil von Baltasar Kormákur an.

Der Regisseur vermeidet zum größten Teil Effekthascherei, sodass selbst die Sterbeszenen fast schon beiläufig daherkommen. Ob dies auch der Grund dafür ist, dass die 3D-Effekte zwar sehenswert, dennoch weniger eindrucksvoll sind, wie man zunächst annehmen könnte, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Trotz aller Bemühungen, den Konventionen des Genres fernzubleiben, muss sich auch Kormákur den Vorwurf gefallen lassen, gegen Ende des Films dem überdramatisierten Hollywood-Kitsch etwas zu viel Raum zu geben, was aber dennoch seine beabsichtigte Wirkung – und zwar den Zuschauer emotional zu berühren – nicht verfehlt. Und auch, wenn bei Everest nicht das gesamte Potenzial ausgeschöpft wurde, so verlässt man den Kinosaal mit dem Gefühl, einen mehr als interessanten Film gesehen zu haben.

© Universal Pictures International