Es ist nun fast 50 Jahre her, dass Walt Disneys Das Dschungelbuch in den Kinos startete. Bis heute ist der Zeichentrickklassiker in Deutschland mit über 27 Millionen Zuschauern der am häufigsten besuchte Kinofilm aller Zeiten – und wird dies wahrscheinlich auch immer bleiben. Regisseur Jon Favreau legte sich die schwere Bürde auf, dem beliebten Werk mit The Jungle Book eine Real-Neuverfilmung zu verpassen, welche sich jedoch als würdige Adaption erweist.
Favreau hält sich in seiner Version – abgesehen von ein paar Abweichungen – weitestgehend an die Handlung des Zeichentricks von 1967. Das Entscheidende ist jedoch die unterschiedliche Tonalität beider Filme. Die Neuauflage nimmt größtenteils Abstand vom naiven Charme des Originals und bereitet die Geschichte für ein erwachseneres Publikum auf. So avanciert The Jungle Book zu einem mitreißenden Abenteuerfilm, der das Zusammenspiel von dramatischen und humorvollen Momenten geschickt zu involvieren weiß. Als Zuschauer taucht man, auch dank der 3D-Bilder, direkt in die faszinierenden Tiefen des Dschungels ein, in der die agierenden und sprechenden Tiere zu keiner Zeit an Glaubwürdigkeit verlieren. Dies ist vor allem der überragenden Tricktechnik zu verdanken, die den Film zu einem visuellen Ereignis werden lässt. Jede kleinste Bewegung und jedes durch den Regen glänzende Härchen im Fell wurde perfekt animiert und dürfte für staunende Augen beim Publikum sorgen. Vor allem beim Tiger Shir Khan haben die Macher meisterhafte Arbeit geleistet und lassen Erinnerungen an dessen Artgenossen aus Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger wach werden.
Shir Khan ist auch die Figur, an der sich am besten die Reformierung der Charakterzeichnungen erkennen lässt. Dieser Tiger hat nur noch wenig mit der gezeichneten Raubkatze aus dem Disney-Hit gemeinsam, sondern vereint wesentlich mehr markante Eigenschaften. Sein manipulatives und intelligentes Wesen, gepaart mit einer einschüchternden Gestalt, verleiht ihm eine durchgehend bedrohliche Aura, die ihn zu einem überaus bemerkenswerten Filmschurken macht. Einen großen Anteil daran haben auch Idris Elba bzw. dessen deutsches Pendant Ben Becker, die dem Antagonisten ihre Stimmen leihen und dabei einen guten Job machen. Die gefahrvolle Stimmung, für die Shir Khan sorgt, soll vor allem durch den Bären Balu aufgelockert werden. Dieser wurde mit der Synchronisation durch Bill Murray bzw. Armin Rohde ebenso passend besetzt und ist für den Großteil der Lacher des Films verantwortlich. Im Gegensatz zum Original wirkt Balus Freundschaft zu Mogli, die eine große Bedeutung in der Geschichte hat, jedoch leicht an den Haaren herbeigezogen, wodurch der weitere Verlauf der Handlung etwas konstruiert anmutet.
Umso erfreulicher ist dafür die Besetzung von Mogli. Als einziger „echter“ Hauptdarsteller wurde der indisch-stämmige Amerikaner Neel Sethi mit einer großen Herausforderung konfrontiert, die er jedoch exzellent meistert. Optisch wie ein reales Abbild des Zeichentrick-Menschenkindes wirkend, füllt er die Rolle ebenso inhaltlich mit Tiefe, Charisma und Authentizität.
Die größten Abschweifungen bezüglich der Charaktere erlaubte sich Jon Favreau bei der Schlange Kaa, die in The Jungle Book weiblich statt männlich ist und bei King Louie, der nicht mehr der Primatengattung Orang-Utan angehört, sondern der des mittlerweile ausgestorbenen Gigantopithecus. Während erstere Figur nur einen – wenn auch prägnanten – Kurzauftritt absolviert, gehört die Sequenz mit dem Riesenaffen zu den wohl großartigsten des gesamten Films. Als überdimensionaler Anführer einer Affenherde ist King Louie – sinnbildlich und buchstäblich – eine Wucht. Hier ist jedoch die musikalische Einlage des bekannten Songs „I Wanna Be Like You“ absolut fehl am Platz und zerstört den beunruhigenden Effekt seiner Präsenz. Darüber kann auch die launige Interpretation des Stückes durch Christopher Walken in der US-Version nicht hinwegtrösten.
Eben erwähntes Lied und das unvermeidliche „The Bare Necessities / Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ sind schließlich auch die einzigen gesanglichen Beiträge im Film (vom Abspann abgesehen). Favreau hat hier bewusst die Songanzahl reduziert, um die Eigenständigkeit seines Werks zu betonen. In diesem Sinne wäre eine „liedfreie“ Version jedoch die bessere Entscheidung gewesen. Vorteilhaft wirkt hingegen die Idee, die musikalischen Motive der Original-Songs hin und wieder im Film durchklingen zu lassen.
The Jungle Book bewegt sich näher an der literarischen Vorlage Rudyard Kiplings als es Das Dschungelbuch 1967 tat, was angesichts der verschiedenen Genres auch nicht weiter verwundert. Der Tatsache, dass Favreaus Version ebenso eine Disney-Produktion ist und auch Kinder ins Kino locken soll, ist dann wohl auch geschuldet, dass eine gewisse Uneinigkeit zu spüren ist. Einerseits blitzt der Wunsch nach Nostalgie und dem Bewahren des Geistes des Zeichentrickfilms auf. Andererseits herrscht hauptsächlich der Mut zu einer neuen, reiferen Dschungelbuch-Geschichte, in der der Regisseur ein funktionierendes Ökosystem zeigt, das die natürlichen Gesetze vom Fressen und Gefressen werden miteinschließt.
Wer sich die Realverfilmung im Kino anschauen sollte, wird schließlich mit einem visuell beeindruckenden Film belohnt, der einige erinnerungswürdige Szenen bietet. Der liebevoll gestaltete Abspann hat dann auch noch Scarlett Johanssons Singstimme als kleinen Bonus parat, der selbst Disney-Puristen ein zufriedenes Lächeln aufs Gesicht zaubern dürfte.
© Walt Disney Studios Motion Pictures